Karl Vissers: Geschiedenis van het moderne Belgische ex libris (1880–2022) – History of the modern Belgian ex libris (1880–2022)

Ein mit ca. 2 kg sehr gewichtiges Buch liegt da vor mir; und schon meine erste Nutzung zeigte, dass auch der Inhalt des Buches gewichtig ist.

Doch von Anfang an: Der Autor, Herausgeber der Graphia, hat sich mit dieser Veröffentlichung eine komplette Darstellung des modernen belgischen Exlibris vorgenommen. Die stand bislang in Belgien noch aus, während andere europäische Länder eine derartige Publikation bereits vorweisen können. Wichtige Vorarbeiten für seine 440-seitige Monografie führt Karl Vissers in seinem Vorwort wertschätzend an. In der Einleitung arbeitet der Verfasser sehr klar heraus, dass das Exlibris trotz seiner aktiven Geschichte in vielen Jahrhunderten letztlich immer eine Nischenposition im Kunst-geschehen innehatte, obwohl auch sehr viele bekannte Künstler Exlibris geschaffen haben. Für Belgien sei da für die sogenannte Moderne nur an Fernand Khnopff, René Magritte und Félicien Rops erinnert. Vissers konstatiert aber von seinem heutigen Standpunkt aus als historisch feststehend, dass das Exlibris inzwischen den Weg weg vom Buch und hin zum reinen grafischen Sammelobjekt vollzogen hat, wodurch der Bezug zum Eigner, eigentlich eines der Hauptcharakteristika des Exlibris, und zur jeweiligen Bibliothek verlorengegangen sei.

Die Darstellung der belgischen Exlibrisgeschichte ist, vom Titel her nicht überraschend, chronologisch angeordnet. Was hingegen für Leser und Leserinnen (vielleicht auch nur solche aus anderen Ländern) überraschend ist, ist eine zweite Untergliederung, nämlich eine geografische. Durch die Chronologie wird das Buch in 5 große Kapitel geteilt: zuerst die Periode von 1880 bis 1914, dann die von 1918 bis 1940, als dritte die Zeit von 1944 bis 1975, als vierte die Zeit nach 1973, der als 5. Kapitel ein relativ kurzer Querschnitt durch die heutige Zeit folgt. So weit, so gut, ohne dass man es erklären muss, denn das tun schon die Jahreszahlen, sind doch auch die Auf und Abs des Nischenprodukts Exlibris gekennzeichnet durch das politisch-gesellschaftliche, im 20. Jahrhundert vor allem des kriegerischen Geschehens auf unserem Kontinent. Die eben schon angesprochene zweite, die geografische Gliederung erfolgt entsprechend der künstlerischen Zentren, von denen in der jeweiligen Periode die wesentlichen künstlerischen Aktivitäten und Erneuerungen ausgegangen sind.

So beginnt die Beschreibung der ersten Periode mit Luik/Liege, wo vor allem vier bekannte Künstler aktiv waren, die bis heute ihre Spuren hinterlassen haben: de Witte, Rops, Donnay und Rassenfosse. Doch schon bald übernahm Brussel/Brussels die führende Funktion in der Exlibrisentwicklung der Vorkriegszeit. Hier werden Khnopff, Titz, Rels und andere vorgestellt und man erkennt sogleich bei einem Blick auf die Abbildungen, mit wieviel Recht sich das belgische Exlibris dieser Zeit als „modern“ bezeichnen lässt. Antwerpen/Antwerp wird als drittes Zentrum beschrieben, die beiden nahe beieinander liegenden Städte Gent/Ghent und Brugge/Bruges bilden das vierte Zentrum. Jedes dieser Zentren wird ausführlich durch seine Aktivitäten, seine wichtigen Künstler und seine Besonderheiten skizziert.

Der zweite Teil, der die Zwischenkriegszeit behandelt, wird dann ausgehend von Brüssel als wichtigstem künstlerischen Zentrum dieser Zeit beschrieben. Die Ursache liegt zweifelsfrei in der dort erfolgten Gründung der Association Belge des Collectionneurs et Dessinateurs, d‘Èxlibris, abgekürzt ABCDE (ein grandioser Einfall!) im Jahr 1919. Die Beliebtheit dieser Vereinigung erklärt sich schnell: Jährlich erhielt jedes Mitglied eine hervorragende Mappe mit 12 Exlibris zeitgenössischer, also moderner Exlibris. 

Von Gent und Brugge aus wiederum wird das moderne Exlibris nach dem Zweiten Weltkrieg, also in seiner dritten Periode, weiter angetrieben, einer der wesentlichen formgebenden und inhaltlichen Motivatoren dieser Zeit ist Frans Masereel, der auch den Holzschnitt wieder in den Vordergrund rücken lässt. Die geografische Kapitelsetzung macht das Buch nicht nur an dieser Stelle besonders spannend, erkennt man doch dadurch deutlich, dass man eben auch Künstler und Künstlerinnen vor Ort braucht, die sich nicht nur für 

Armand Rassenfosse, 1921

die Kunst an sich, sondern auch für das Geschehen innerhalb der städtischen Kunst- und Sammelszene interessieren und dort nicht nur ihre Werke, sondern auch ihre Ideen, ihre Überzeugungen, ihren neuen Stil einbringen. In diesem 3. Teil taucht übrigens erstmals auch das heute allen bekannte Sint-Niklaas als neues Zentrum der Exlibrisbewegung auf.

In den 70er Jahren werden dann weitere neue Zentren angesprochen und die Zahl der Exlibriskünstler, woran sich ja manche Leser und Leserinnen noch erinnern können, wächst schnell. Ein nur kurzer (verständlich, da noch ergebnisoffen) Text über das gegenwärtige Exlibris schließt das Buch ab.

Es folgen einige wichtige Verzeichnisse: eine Liste über bekannte Künstler, eine Künstlerliste mit Seitenangaben der für sie jeweils wichtigsten Textstelle, Listen von Eigentümern und Eigentümerinnen und eine sehr reichhaltige Bibliografie.

Wenn Sie jetzt vermuten, dass das Buch aufgrund seiner Informationsfülle und Vielschichtigkeit schwer zu handhaben ist, dann betrifft das nur sein Gewicht. Denn, wie einleitend angedeutet, versuchte ich gleich bei meiner ersten Begegnung mit dem Buch, es zu nutzen. Ich hatte für die Website der DEG-Rubrik Exlibris des Monats für den September 2023 ein Exlibris von Louis Titz für seine Frau Constance Titz ausgewählt, und da habe ich natürlich gleich eruiert, wie ergiebig meine Suche nach dem von mir so sehr geschätzten Künstler werden würde. Und: Ich war sehr erfreut, Titz tauchte, laut Index, mit einer längeren Lebens- und Werkbeschreibung zu Beginn des 2. Kapitels unter dem Untertitel Brüssel auf; auch die 6 Abbildungen waren schnell auffindbar. Der Text war sehr hilfreich und bot viele Hinweise auf das Leben des Künstlers und seine Bedeutung als Künstler. Auch über seine Frau, die Eignerin des von mir ausgesuchten September-Exlibris, fand ich erste Informationen.

Victor Mignot, 1925

Zur Freude beim Lesen und Stöbern trägt auch das gelungene Layout von Sebastian Geeraert bei, das das Buch sehr übersichtlich und somit benutzerfreundlich macht. Das Buch ist zweisprachig (Flämisch und Englisch), wobei die jeweiligen Inhalte immer parallel in beiden Sprachen in zwei Spalten auf einer Seite stehen. Dabei taucht des öfteren ein zentraler Gedanke in sehr großer und kursiver Schrift in beiden Spalten auf, das geschieht aber nicht nebeneinander, sondern z. B. auf einer Spalte unten und auf der anderen oben abgedruckt, was der klaren, aber strengen Text-gestaltung dann doch auch wieder spielerische Elemente verleiht. Dem dient auch die Gestaltung der Buchseiten, indem das Weiß immer wieder durch sehr hellgraue Schattierungen, durch meistens vom Innenfalz ausgehende unterschiedlich große Dreiecke eine gewisse Spannung erhält. Die verwendeten Farben des Textkörpers und der inneren Titelseiten für die einzelnen Kapitel sind durchgehend die des Covers, also rot, schwarz und weiß – respektive hellgrau auf weiß, gelegentlich taucht noch eine weitere Farbe (dunkelgrün) auf. Auch die Anordnung und Qualität der je nach Objekt schwarz-weißen oder farbigen Abbildungen trägt zum hochwertigen Charakter des Buches bei. Die Abbildungen „kleben“ nicht aneinander, sondern sind immer großzügig auf einer Seite neben der Textseite verteilt; gelegentlich gibt es auch eine Doppelseite mit Abbildungen.

Das Buch ist 2002 in Sint-Niklaas (Graphia) erschienen und wird in zwei Versionen (Hardcover und Softcover) angeboten; außer der Normalausgabe gibt es eine bibliophile Ausgabe.

Ulrike Ladnar

Magda Van Reusel, 1925

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