Nachruf auf Paul G. Becker

In seinem 93. Lebensjahr ist der langjährige Ehrenpräsident der Deutschen Exlibris-Gesellschaft Paul G. Becker verstorben. Denen, die ihn bereits in seiner Zeit als Erster Vorsitzender der DEG (1977–1986) und als DEG-Archivar (1986–1992) erlebten, und jenen, die ihn danach als Sammler und Auftraggeber, großzügig Tauschenden und ruhigen, besonnenen Gesprächspartner kennenlernten, wird er als beeindruckende, stets integre Persönlichkeit in Erinnerung bleiben.

Paul G. Becker wurde am 12. Juni 1931 in Köln geboren, seine Kindheit und Jugend verliefen alles andere als geradlinig und frohgemut. Anderthalb Jahre nach seiner Geburt kamen die Nationalsozialisten an die Macht und übten diese, millionenfach mordend, 12 Jahre lang aus. Beliebt bei den Jungen, die damals auf den Straßen spielten, waren aus verschiedensten Materialien selbst zusammengebaute Vorläufer von Seifenkisten. Sie stellten sich vor, Panzer zu fahren und lieferten sich damit Schlachten: Deutschland gegen den Feind. Als der Junge Paul 10 war, wurde er dabei in einen Zwischenfall verwickelt und verwundet; die Wunde wurde zwar behandelt und versorgt, aber es kam zu einer Blutvergiftung und er musste ins Krankenhaus. Der Aufenthalt dort zog sich ein Jahr hin, ein Bein sollte amputiert werden, was die Mutter jedoch verhindern konnte. Auch eine geplante Überführung in die Heil- und Pflegeanstalt („Krüppelheim“) Süchteln konnte sie abwenden, dort kam es in der Folge zur Tötung von etwa 100 behinderten Kindern. Spektakulär gestaltete sich die Kinderlandverschickung (Evakuierung aus luftangriffsgefährdeten Gebieten [wie Köln]) nach Baiersbronn im Schwarzwald (das zu den weniger gefährdeten Regionen gehörte); vor einer angedrohten „Auslagerung“ nach Tschechien heuerte die Mutter einen Fluchthelfer an, und der junge Paul konnte mit einem Freund entkommen. Kein Wunder, dass diese Schicksalsschläge Sohn (der zeitlebens ein steifes Bein behielt) und Mutter zu einem besonders innigen Verhältnis führten und eng aneinanderbanden.

Oswin Volkamer: Exlibris für Paul G. Becker, Opus 100, 1981, Kupferstich

DEG-Mitteilungen, Umschlag-Vorderseite, 1997–2

Nach dem Krieg verließ Becker die Schule und arbeitete drei Jahre bei einem Buchhändler in Bensberg, der aber nicht organisiert war, sodass diese Zeit nicht als Lehre angerechnet wurde. Dank einer Möglichkeit zum Absolvieren einer verkürzten Ausbildung gelangte er aber doch noch zu einem Lehrabschluss und war danach für zwölf Jahre in einer Buchhandlung in Köln tätig – wo ihn schließlich ein Reisender für den Außendienst bei Luchterhand abwarb. Und dadurch lernte er Günter Grass, Siegfried Lenz und andere wichtige Autoren der deutschen Nachkriegsliteratur persönlich kennen. Noch Jahrzehnte später bezeichnete er Die Blechtrommel von Grass als sein „Erweckungserlebnis“. 1962 ging er als Verlagsbuchhändler zu Bertelsmann (später Goldmann) nach Gütersloh. Da hatte er schon eine Neigung zur bildenden Kunst, aber der Schlüssel dazu war die Liebe zu Büchern.
Einer seiner Kunden war Günter Bremer, der ein Antiquariat in Wolfenbüttel führte und dort auch Exlibris anbot. Bremer war Mitglied der Deutschen Exlibris-Gesellschaft, besaß Blätter von Ottohans Beier, Rudolf Warnecke und anderen bekannten Exlibriskünstlern auf seinen Namen. Durch Bremer kam Becker zum Exlibris und zur Deutschen Exlibris-Gesellschaft, der er 1973 beitrat. Schon vier Jahre später, 1977, wurde er als Nachfolger des Hannoveraner Theologen und Pastors Ekkehard Hieronimus zum Ersten Vorsitzenden der DEG gewählt. Das Amt bekleidete er drei Amtsperioden lang bis 1986. Danach blieb er bis 1992 als Archivar für zwei weitere Amtsperioden im DEG-Vorstand.

Paul G. Becker in einer Ausstellung, März 2019, (Foto von Klaus Rödel)

Mit dem damaligen Ersten Schriftführer Hans Kruse, sorgte er dafür, dass die lange Zeit nur unstetig herausgegebenen DEG-Mitteilungen wieder regelmäßig erschienen. Unter seiner Ägide wurde der Titel des DEG-Jahrbuchs geändert von „Exlibriskunst und Gebrauchsgraphik“ in „Exlibriskunst und Graphik“, womit ein konzeptioneller Wechsel zur Öffnung in Richtung grafischer Künste aller Art einherging. Der Verein nahm einen Aufschwung, die Mitgliederzahl stieg von 220 auf 390 und erreichte während seiner Zeit als Archivar mit fast 500 die bis heute gültige Höchstmarke.
Dreimal richtete Becker die DEG-Jahrestagung aus, darunter die Hundertjahrfeier des Vereins im Jahre 1991. Er sorgte dafür, dass das DEG-Archiv in der Stadtbibliothek Gütersloh erstmals eine dauerhafte Heimstatt erhielt und organisierte dort eine Vielzahl von Exlibris-Ausstellungen.
Zu den Sammelgebieten, die er selbst favorisierte, gehörte „Cervantes und sein Don Quixote im Exlibris“. Er brachte es auf mehr als 1.200 Exemplare, schrieb dazu 1997 ein Katalogbuch, organisierte eine Wanderausstellung und stiftete die Kollektion schließlich dem Don-Quijote-Haus in Goslar.
2001 veröffentlichte er ein Werk über japanische Exlibris, die er seit einem Besuch der FISAE-Welttagung 1992 in Sapporo sammelte. Ein Jahr darauf publizierte er gemeinsam mit Svetlan Piilmann das zum Standardwerk gewordene Buch „Baltische Wappenexlibris“. 2005 gab er einen wichtigen Ergänzungsband zum Willi-Geiger-Verzeichnis von Gustav Schreyl heraus.
Aber seine große Liebe als Sammler galt alten, richtig alten Exlibris aus dem 16. und 17 Jahrhundert, Blättern aus der Renaissance und dem Barock. Sie bildeten 1996 einen wesentlichen Teil der Ausstellung und des Begleitkatalogs „Schätze der Exlibriskunst“, aus der sich in den Jahren danach die gleichnamige Schriftenreihe mit wechselnden Schwerpunkten entwickelte.
1988 stiftete Paul G. Becker die nach dem Vorsitzenden und späteren Ehrenpräsidenten des alten Deutschen Exlibris-Vereins benannte „Walter-von-Zur Westen-Medaille, die seitdem von der DEG für besondere Verdienste um die Verbreitung des Exlibris-Gedankens und die Förderung der Exlibris-Kunst sowie für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Exlibris-Forschung und der Exlibris-Literatur vergeben wird und als eine der renommiertesten Auszeichnungen in der Exlibriswelt gilt.

David Bekker: Exlibris für Paul G. Becker, Eulenspiegel – Mölln, 2009, Radierung

Fumiko Yokoyama: Exlibris für Paul G. Becker, 1995, Holzschnitt

Eduard Albrecht: Exlibris für Paul G. Becker, 1988, Holzstich

Im gleichen Jahr 1988 wurde Paul G. Becker zum Ehrenmitglied der DEG ernannt, 1997 zum Ehrenpräsidenten.
2008 zog er, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Ruth Gorr, von Gütersloh nach Mölln in Schleswig-Holstein, wo er auch seine letzten Lebensjahre verbrachte.
Becker reiste viel (nicht nur beruflich), er spielte gerne Golf und las „gute“ Literatur, ging ins Theater, besuchte Konzerte und Museen, er war vielseitig interessiert und nahm bis zuletzt rege teil am Weltgeschehen. Der Krieg in der Ukraine ließ Erinnerungen an die Kölner Bombennächte, die er in den Vierzigerjahren miterlebt hatte, hochkommen und bedrückte ihn zutiefst.
Seine große Leidenschaft gehörte der Exlibriskunst. Dank seiner Werke und seiner Exlibris wird er der Exlibriswelt unvergessen bleiben.
Paul G. Becker verstarb am 1. Januar 2024 in Lübeck.

(Henry Tauber)

David Bekker: Exlibris für Paul G. Becker, Don Quixote, 1999, Radierung

1 Kommentar zu „Nachruf auf Paul G. Becker“

  1. Lieber Herr Dr. Tauber,
    über diesen Nachruf hätte Paul sich sehr gefreut und wäre sehr stolz gewesen. Liebe Grüße aus OWL ins Sauerland

    Sandra Weimer

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