Schweizer Exlibriskünstlerinnen II – Jahresgabe des Schweizerischen Ex Libris Clubs 60/2022

Mit viel Vorfreude habe ich mich an die Lektüre der neuen Jahresgabe des Schweizerischen Ex Libris Clubs gemacht, des zweiten Bands, den der SELC seinen bis von kurzer Zeit eher vernachlässigten Künstlerinnen gewidmet hat. Wie seit vielen Jahren hat Anna Stiefel nicht nur als Autorin für das Jahrbuch gearbeitet, sondern es auch redigiert und sein Layout gemacht.

In diesem Jahrbuch werden vier Schweizer Künstlerinnen präsentiert, deren Exlibriswerk nur spärliche Spuren hinterlassen hat, die aber durch ihr sonstiges künstlerisches Wirken nicht unbekannt waren. Die im Jahrbuch vorgelegten Beiträge beruhen also auf einer intensiven Forschung. Es handelt sich um Lill Tschudi, um Clara Weber-Sulger und ihre Tochter Emmy sowie um Sophie Hauser.

Lill Tschudis (1911–2004) Exlibriswerk wird in der vorliegenden Veröffentlichung von Marcel Just vorgestellt. Der Autor hat es hier mit einer zwar in der angelsächsischen Welt, kaum aber in ihrer Schweizer Heimat bekannten Künstlerin aus Glarn zu tun. Dank der ihr gewidmeten Ausstellung Lill Tschudi – Die Faszination des modernen Linolschnitts – 1935–1950 in der Graphischen Sammlung der ETH Zürich (Winter 2021/2022) ist das Interesse an der Grafikerin deutlich gewachsen, nun wird es wohl auch unter Exlibris-Sammlern und -Sammlerinnen steigen. Die junge Lill war bereits früh vom Farbholzschnitt fasziniert und begann 1929 eine Ausbildung bei dem herausragenden und wegweisenden Linol- und Holzschneider Claude Flight, später lernte sie auch bei Gino Severini, Fernand Léger und anderen. Ihre freien Grafiken sind sehr dynamisch und deutlich dem Art-Déco verhaftet. Viele ihrer Werke aus der Zeit sind in Londoner Museen, über 100 aber auch im New Yorker Metropolitan Museum of Arts. In den Kriegsjahren arbeitete die Künstlerin im Frauenhilfsdienst der Schweizer Armee; in dieser Zeit entstanden viele Schwarz-Weiß-Holzschnitte, oft auch patriotischen Inhalts, über diese Tätigkeit. Nach dem Krieg stagnierte ihre Entwicklung, ihre Zuwendung zur Abstraktion fand kaum mehr Aufmerksamkeit.

Lill Tschudi hat während ihres gesamten künstlerischen Lebens auch viele gebrauchsgrafische Arbeiten geschaffen, darunter 32 Exlibris, manche davon in Varianten; von etlichen liegen Entwürfe vor. Marcel Just hat diese Exlibris sehr genau beschrieben und soweit es möglich war, auch nach den Eignern und Eignerinnen der Blätter geforscht. Dabei stellt sich heraus, dass trotz der internationalen Anerkennung ihrer kreativ-expressiven freien Grafiken, die für die Moderne stehen, ihre Exlibris älteren Mustern verhaftet sind. So gibt es viele Blätter, in denen das Familienwappen der Eigner und Eignerinnen im Mittelpunkt steht. Vielleicht rührt das auch daher, dass ihre Mutter Heraldikerin war und dass sie deswegen mit dieser Tradition aufgewachsen ist. Sie hat auch nach den Originalzeichnungen ihrer Mutter Ida Tschudi-Schümperlin Linolschnitte der Glarner Gemeindewappen geschaffen, auch das ein Zeichen der engen Verbundenheit zwischen den beiden Frauen. In ihren Exlibris bekennt sich Lill Tschudi eindeutig zum Exlibris als einer Form der buchgerechten Gebrauchsgrafik, und die zeichnet sich durch minimalistische, klare Konzentration auf ein wesentliches Hauptthema  – und dazu ist das damals bekannte Familienwappen bestens geeignet – sowie des Textteils, vor allem des Eignernamens, aus. Viele ihrer Buchzeichen sind für Familienmitglieder entstanden, hervorzuheben ein sehr kunstvolles und anspruchsvolles Weißlinienschnitt-Exlibris für ihre Mutter, die anderen sind entweder Geschenk- oder Auftragsexlibris, was aber nicht mehr im Detail ermittelbar ist. Doch sie scheinen überwiegend dem Glarner Umfeld anzugehören. Regional war sie dort auch bekannt, so illustrierte sie ein Schulbuch für die Glarner Primarschulen.

Lill Tschudi: Exlibris für Ida Tschudi-Schümperlin, frühe 1930er Jahre

Petra Barton-Sigrist stellt die in der Kunstgewerblichen Werkstätte WEBER entstanden Exlibris vor, besonders die Blätter von Clara Weber-Sulger (1872–1950) und ihrer Tochter Emmy Weber (1897–1965). Ihre Forschungsaufgabe war besonders schwierig, da erstens wenig über die beiden Frauen bekannt ist, auch die Sekundärliteratur über Kunstgewerblerinnen in der Schweiz bietet kaum etwas an, und da zweitens die beiden Frauen nicht alle Exlibris zumindest mit einem Monogramm signierten, so dass erschwerend hinzukam, dass möglicherweise, wie Petra Barton-Sigrist vor allem anhand von stilistischen Überlegungen vermutet, die Tochter auch bei der Mutter bestellte Exlibris herstellte und dann nicht mit ihren eigenen Initialen signierte. Die Recherche gestaltete sich dann für die Autorin sehr bewegend, konnte Petra Barton-Sigrist doch die Enkelin Claras bzw. die Nichte Emmys, die nach wie vor die Werkstätte Weber (Weber Louise – Porzellanmalerei in St. Gallen | local.ch) betreibt, kennen lernen und von ihr viele Informationen erhalten und die Primärquellen aus dem Familiennachlass einsehen und nutzen. Diese Werkstätte gründete Clara Weber-Sulger nach dem Tod ihres Gatten in St. Gallen, da sich zwei ihrer Kinder dort in der Ausbildung befanden, der Sohn Gustav als Koch und die Tochter Clara als Stickereientwerferin. Die Werkstätte war sehr vielfältig ausgerichtet, im Mittelpunkt standen Porzellan-, Glas- und Holzmalerei. Es wurden unterschiedliche Kurse im Bereich des Kunstgewerbes angeboten, daneben werden aber auch Bucheinbände, Goldschmiede- und Metallarbeiten, Aquarelle, Ölbilder u. v. a. m. hergestellt. Nach Clara wurden die beiden jüngeren Kinder Max und Emmy künstlerisch ausgebildet. Die Familie war insgesamt gut im Kunstmarkt vernetzt und immer wieder stellen Familienmitglieder ihre künstlerischen bzw. kunstgewerblichen Arbeiten erfolgreich in wichtigen kunstgewerblichen Ausstellungen aus.

Emmy Weber: Exlibris für Clara Weber-Sulger, 1920er Jahre

Die Exlibris aus der Werkstätte Weber sind ein eher unbedeutendes Randgebiet der Arbeit in der Werkstätte. Petra Barton-Sigrist hat mit Hilfe von Louise Weber und von privaten Sammlern 19 Exlibris und vier Gelegenheitsgrafiken zusammentragen können. Wie bereits erwähnt, ist die Zuordnung der Blätter zu Mutter oder Tochter schwierig. Wie bei Lill Tschudi sind die Eigner und Eignerinnen der Blätter überwiegend Familienmitglieder und Personen aus dem Umkreis, hier also aus St. Gallen. Am originellsten ist definitiv das Exlibris, das Emmy für ihre Mutter gestaltet hat. Diese wird als 

ein auf einer Farbpalette stehender Rabe dargestellt, wobei sich (eher humorvolle als kritische) Assoziationen an eine Rabenmutter einstellen. Auf jeden Fall stellt sie sich und ihre drei Geschwister in ihrer Funktion für das Familienunternehmen dar. Die 4 kleinen Raben stehen in Reih und Glied, wie Petra Barton-Sigrist so zutreffend wie ironisch bemerkt, unter der Mutter und haben zur Charakteristik ein Utensil ihres Berufs im Schnabel: einen Suppenlöffel, einen Pinsel, einen Bleistift, eine Farbtube.

Anna Stiefel schließt den Band mit der Darstellung von Sophie Hauser (1872–1945) ab. Wie aus dankenswert vielen Jahrbüchern bekannt, hat Anna Stiefel sehr genau recherchiert und die Blätter beschrieben. Anna Stiefel beginnt mit einem kurzen Lebenslauf der Künstlerin, die als dritte von vier Töchtern von Walter Hauser in Wädenswil am Zürichsee aufwuchs. Ihr Vater, ursprünglich Industrieller, wechselte früh in die Politik und wurde zweimal sogar zum Bundespräsidenten gewählt. Die Familie zog deswegen 1888 nach Bern, in die Bundeshauptstadt.

Sophie und ihr schon 1902 früh verstorbener Vater standen sich sehr nahe, Anna Stiefel geht davon aus, dass Sophie ihre Mutter weitgehend bei den anspruchsvollen Gastgeberinnenpflichten des Präsidentenhaushaltes unterstützte, wenn nicht gar ersetzte, und dass sie ihren Vater bei offiziellen Anlässen häufig anstelle der Mutter begleitete und für ihn, dessen Vorlieben für die Natur sie teilte, eine wichtige Gesprächspartnerin war.

Im Untertitel bezeichnet die Autorin Sophie Hauser als Jongleurin dreier Karrieren. Die erste dieser Karrieren war die einer Malerin und Grafikerin, wofür sie Privatunterricht erhielt, dann aber die Kunstgewerbeschule in Zürich besuchte, wo sie bei hervorragenden Lehrern in die Malerei, die Grafik, in Textilarbeit, das Buchbinden u. a. eingeführt wurde. Ab 1911 nahm sie erfolgreich an zahlreichen namhaften Ausstellungen teil. Einige ihrer Grafiken befinden sich in der Grafischen Sammlung im Kunsthaus Zürich sowie in den Museen anderer Schweizer Städte. Ihr zweiter Beruf war der einer malenden Buchbinderin. Sie scheint eine Vorreiterin der Handbuchbinderei gewesen zu sein und sich intensiv auf diesem Gebiet fortgebildet zu haben. Ihr dritter Beruf war der einer Kulturmanagerin; diese Tätigkeit hat sie seit den 1910er Jahren ausgeübt und sie ist aufgrund dieser Arbeit in der Schweiz sehr bekannt geworden. Sie war aktives Mitglied der Gesellschaft Schweizerischer Malerinnen und Bildhauerinnen (GSMB) und wurde 1925 Präsidentin der GSMB-Sektion Bern; sie arbeitete auch im Schweizer Werkbund. Die wichtigsten Ziele, die sie dabei vertrat, waren: die Gleichstellung der angewandten mit der freien Kunst, die finanzielle Gleichstellung von Künstlern und Künstlerinnen und die Organisation von Ausstellungen mit der Beteiligung von Künstlerinnen. Bis zu ihrem Tod war sie unermüdlich für die Fortbildung von Schweizer Kunsthandwerkern und Kunsthandwerkerinnen und auch für die Weiterbildung und Anerkennung von Personen, die die Traditionen bäuerlicher Volkskunst wie Schreinern oder Sticken usw. aufrechterhielten, im Einsatz.

Sophie Hauser: Exlibris für Rösli Weber, 1916

Auch das Exlibriswerk dieser Künstlerin weist einen geringen Umfang auf und ist in einer kurzen Zeitspanne entstanden. Ihre Exlibris sind eher konven-tionell gehalten und haben einen geringen Wiedererkennungswert. Trotzdem findet man ihre Blätter noch in alten Sammlungen und es gibt auch einige Erwähnungen in der Fachliteratur. Dies ist wohl ihrer und auch der größeren Bekanntheit vieler Eigner und Eignerinnen aus dem Umfeld des Vaters und der gehobenen Gesellschaft Berns zuzuschreiben.

Aus dem Jahrbuch habe ich viel erfahren und gelernt, worüber man weiter nachdenken müsste. Für mich war insbesondere eine sich auch anhand der Biografien der vier Schweizer Künstlerinnen ergebende Frage, in welchem Maße die Karriere der Künstlerinnen von vor hundert Jahren von der Ent-scheidung für oder gegen eine eigene Familie abhing, oder auch, wie sich die doch sehr unterschiedliche Qualität der Exlibriskunst von Frauen in der Schweiz, in Deutschland und in Österreich um die Zeit der Jahrhundertwende erklären lässt. Den Wiener Frauen standen wohl früher hochwertige, durch

Curricula systematisiert vermittelnde künstlerische Bildungsgänge in öffent-lichen wie auch privat geführten Institutionen und Kunstakademien offen als den Frauen in Deutschland oder der Schweiz, die oft Privatunterricht erhiel-ten oder aber eine kunstgewerbliche Ausbildungsstätte besuchten, wo sie Einblick und Ausbildung in sehr vielen (zu vielen?) Sparten erhielten. Das Leben als unabhängige Künstlerin erforderte viele Kompromisse zugunsten des traditionellen (?) Geschmacks der Kunden und Kundinnen und das Leben als Tochter, Frau oder Mutter war stark durch familiäre Anforderungen und einen entsprechend engen Zeitrahmen für die Kunst bestimmt. Beide Le-benskonstellationen erschwerten die künstlerische Weiterentwicklung.

Unbedingt erwähnt werden muss noch, dass durch die Arbeit am Jahrbuch Nr. 60 (2022) den beliebten Exlibris-Werklisten Schweizer Künstler und Künstlerinnen (!) drei weitere Werklisten mit allen Abbildungen hinzugefügt worden werden konnten. Alle Abbildungen sind von guter Qualität.

(Ulrike Ladnar)

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