Exlibris des Monats Juli 2023: Regina Franke zu Erich Mühsam: „Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!“

Regina Franke für Siegfried Bresler, 2023, Radierung 

Erich Mühsam ist heute nur noch wenigen bekannt, er spielt in der politisch und kulturell interessierten Öffentlichkeit kaum eine Rolle mehr. Vielleicht wird sein Name im Geschichtsunterricht noch gelegentlich erwähnt, im Literaturunterricht wohl gar nicht mehr.

In Lübeck, der Stadt, in der er aufgewachsen ist, gibt es eine Gesellschaft seines Namens, die 2003 eine Ausstellung mit dem Titel Sich fügen heißt lügen zeigte. Das ist die zweite Hälfte des Zitats, das Regina Franke als Textteil auf ihr Exlibris für Siegfried Bresler geschrieben hat, es ist der grundsätzliche, der moralische Teil. Ein Argument, um diesem gereimten Spruch seine Richtigkeit abzusprechen, gibt es auf theoretischer Ebene nicht. Denn Sich-Fügen – das ist immer ein zweischneidiges Schwert. Allerdings gibt es auch eine Redewendung, die eine Art Einsicht in die Unvermeidbarkeit des Bevorstehenden beinhaltet; man spricht dann gerne vom Sich-dem-Unabänderlichen-Fügen. Damit verbindet man dann unveränderbare und nicht beeinflussbare Fakten wie Katastrophen oder den Tod.

Ich selbst habe mich im Mai 2023 intensiver mit Erich Mühsam beschäftigt, als ich für die Ausstellung Jüdische Exlibriskultur im 20. Jahrhundert in Frankfurt sein Exlibris neben das seines Gesinnungskollegen Ernst Toller montierte. Ernst Tollers expressionistisches Exlibris stammt von Ernst Vogenauer, Erich Mühsam hat sein kindlich wirkendes Blatt selbst gezeichnet, es zeigt eine kleine Ente, die einsam vor einer Mauer aus Büchern und Aktendeckeln einherschreitet. Gezeichnet soll er es im Gefängnis haben. Ich habe lange darüber nachgedacht, warum ein so revolutionärer, unbürgerlicher Charakter wie Erich Mühsam sich ein so zutiefst bürgerliches Gebrauchsobjekt wie ein Buchzeichen gezeichnet hat, das zudem keinerlei politische Ideen oder zur Rebellion und Revolution auffordernde Aufrufe transportiert.

Denn ein Rebell war Erich Mühsam (geboren 1878 Berlin, ermordet 1934 im KZ Oranienburg) sein Leben lang. Aufgefallen ist das erstmals, als der Apothekersohn wegen sozialdemokratischer Umtriebe von seinem Lübecker Gymnasium verwiesen wurde und seine schulische Laufbahn mit der Mittleren Reife beenden musste. Daraufhin absolvierte er eine Apotheker-lehre, bevor er Lübeck verließ und nach Berlin zog. Für kurze Zeit arbeitete er dort als Apotheker, bevor er seiner eigentlichen Berufung als Schriftsteller und Redakteur kultureller und politischer linker Zeitschriften folgte. Diesen Tätigkeiten ging er bereits als Schüler nach, als er z. B. satirische Texte für den Zirkus verfasste. Zunächst redigierte er die anarchistische Zeitschrift Der arme Teufel, dann den Weckruf. Nach wenigen Jahren schon verließ er Berlin wieder, um an vielen anderen Orten, darunter Zürich, München, Wien, Paris und vor allem auf dem Monte Verità in Ascona Erfahrungen zu sammeln. Im Jahr 1909 ließ er sich in München nieder, wo er plante, einen lebenswerten Ort für sozial geächtete Menschen, seien es Prostituierte, Bettler, Landstreicher u. a. zu schaffen. Seine eigene soziale Stellung als Außenseiter betonte er mit langen schwarzen Haaren, einem Bart und ausschließlich schwarzer Kleidung. 1910 wurde er wegen seines Engage-ments erstmals verhaftet. 
Er wurde zum Mittelpunkt der Münchener Bohème und kannte alle damals in München tätigen Schriftsteller wie Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf u. a. Er arbeitete am Münchener Kabarett und schrieb für satirische Zeitschriften. Von 1911 bis 1919 gab er die Zeitschrift Kain – Zeitschrift für Menschlichkeit heraus, was er allerdings während des Ersten Weltkriegs unterbrach. 
1915 heiratete er Kreszentia Elfinger, genannt Zenzl. Die Liebe zu seiner Frau war ihm eine feste Lebensbasis. Seine politische Tätigkeit setzte er un-

vermindert fort, und deswegen erfolgte 1918 eine nächste Gefangennahme und Inhaftierung. Nach der Niederschlagung der Räterepublik durch Reichswehr und rechtsnationalistische Freikorpsvereinigungen wurde Mühsam zu 15 Jahren Festungshaft verurteilt. Nach 5 Jahren wurde er amnestiert; danach wechselte er seine Zugehörigkeit zu verschiedenen linken und anarchistischen Parteien und Gruppierungen häufig, blieb aber immer seinen Grundprinzipien treu: dem Einsatz für die Unterprivilegierten und Ausgestoßenen und dem Kampf gegen den Militarismus.

Nach der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 verhaftete ihn die SA. Er kam ins KZ Oranienburg, wo er schon ein Jahr später von der SS ermordet wurde. Der Aufforderung eines SS-Mannes, sich selbst auf-zuhängen, fügte er sich trotz Mordandrohungen nicht. Und hier sei an den ersten Teil des bekannten Zitats von Erich Mühsam erinnert, den Zitatteil, der der theoretisch möglichen passiven Einsicht die radikale Aufforderung zum aktiven Widerstehen entgegenstellt: Doch ob sie mich erschlügen …

Regina Franke stellt auf ihrem Exlibris einen nackten, leidenden Menschen dar. Man sieht, dass ihm viel Gewalt angetan worden ist, körperliche, aber auch seelische. Halb liegt, halb kniet er, mit einem einen Arm schützt er immer noch seinen geschundenen Kopf, mit dem anderen stützt er sich vom Boden ab. Vermutlich wurde er niedergeworfen, geschlagen und getreten. Sein Körper setzt sich mit ausschließlich runden Formelementen von seiner Umgebung ab, die aus Strichen und parallelen Geraden, schraffierten geometrischen Flächen und eckigen, quadratischen Formelementen, einem Fenster wahrscheinlich, besteht. Man assoziiert einen Käfig, einen Gefängnisraum. Dieser Raum ist weit weg von bewohnten menschlichen Zonen, denn hinter einigen der kleinen Fensterquadrate rechts ist nichts außer einem riesigen Fels zu erkennen. Das Außen scheint so unwirtlich und unbewohnbar wie der Innenraum zu sein.
Links hat Regina Franke das ganze Zitat Mühsams und auch seinen Namen gesetzt.
Wie so oft in ihren Grafiken verdichtet die Künstlerin eine sprachliche, dichterische Aussage in Strichen und Formen. Hier genügt ihr, dass sie die Umrisslinien um den gequälten Menschen zeichnet, unter dessen Haut Leben sichtbar und spürbar ist, einige Adern sind wahrnehmbar, vor allem aber auch Sehnen – angespannt besonders an den Füßen. Dadurch zeigt sie, dass dieser Mensch wieder aufstehen und weiter widerstehen wird. Er wird sich nicht fügen, solange er noch lebt. Auf dem Exlibris ist es Regina Franke ergreifend gelungen, Mühsams Worte zum Bild werden zu lassen.

Abschließend möchte ich noch Ernst Mühsam
zu Wort und Bild kommen lassen:

„Ich hab’s mein Lebtag nicht gelernt,
mich fremdem Zwang zu fügen.
Jetzt haben sie mich einkasernt,
von Heim und Weib und Werk entfernt. 
Doch ob sie mich erschlügen: Sich fügen heißt lügen!“

(Ulrike Ladnar)

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