Exlibris des Monats Juni 2023: Josef Werner zu Johannes, Offenbarung 13 – Die Zahl 666

Josef Werner für Henry Tauber, Opus 237, 2022, Radierung

Da ich alljährlich das von den Teilnehmern an der DEG-Jahrestagung kurz zuvor gewählte „Beste Exlibris“ als „Exlibris des Monats Juni“ vorstelle, ergibt sich in diesem Jahr 2023 die seltene Gelegenheit, dass ich eine Grafik be-sprechen darf, die für mich selbst als Eigner geschaffen wurde. Es handelt sich um eine Radierung von Josef Werner (*1945 in Graslitz/CSSR) mit dem Titel „Johannes, Offenbarung 13 – Die Zahl 666“.

Die Bitte / der Auftrag an den Künstler war, ein Exlibris zu einem der apo-kalyptischen Mysterien zu gestalten, die der Autor des um die erste Jahr-hundertwende nach Christus geschriebenen letzten Buches des Neuen Testaments in seiner „Offenbarung“ so schilderte: „Und ich sah: Ein anderes Tier stieg aus der Erde herauf. Es hatte zwei Hörner wie ein Lamm, aber es redete wir ein Drache. Die ganze Macht des ersten Tieres übte es vor dessen Augen aus. Es brachte die Erde und ihre Bewohner dazu, das erste Tier anzubeten, dessen tödliche Wunde geheilt war. Es tat große Zeichen; sogar Feuer ließ es vor den Augen der Menschen vom Himmel auf die Erde fallen. […] Die Kleinen und die Großen, die Reichen und die Armen, die Freien und die Sklaven, alle zwang es, auf ihrer rechten Hand oder ihrer Stirn ein Kenn-zeichen anzubringen. Kaufen oder verkaufen konnte nur, wer das Kenn-zeichen trug: den Namen des Tieres oder die Zahl seines Namens. Hier braucht man Kenntnis. Wer Verstand hat, berechne den Zahlenwert des Tieres. Denn es ist die Zahl eines Menschennamens; seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.“ (Offenbarung 13, 11–18).

Die Bedeutung der Zahl 666 ist über die Jahrhunderte hindurch ein Myste-rium geblieben. In der Neuzeit spielt sie eine gewisse Rolle im Okkultismus (Aleister Crowley), in der Musikkultur (Iron Maiden/Heavy Metal mit dem Album The Heaven and the Beast oder Vangelis mit dem Album Aphrodite´s Child) und in der Bildenden Kunst (Keith Haring), aber v. a. in der Bibel-Exegese.

Im Altertum wurden griechische, hebräische und römische Zahlen mit denselben Zeichen wie Buchstaben geschrieben. Die Zahlenwerte der Buchstaben eines Wortes ließen sich addieren, die Summe konnte mittels gematrischer Berechnungen (bei denen Wörter mithilfe von Zahlen interpretiert werden) ausgelegt und in andere Wörter umgeformt werden.

Gesetzt, dass zurzeit der Niederschrift des letzten Bibelbuches die von seinem Verfasser Johannes angesprochenen frühen Christen etwas Konkretes mit den zwei hier auftauchenden wilden Tieren und der Zahl 666 verbinden konnten, nämlich reale Gestalten der Zeitgeschichte wie den grausamen Christenverfolger Nero (37–68) und/oder einen seiner Nach-folger auf dem römischen Thron, Kaiser Trajan (53–117), als „wieder-auferstandenen Nero“, war die Offenbarung des Johannes eine Hoffnungs- und Trostschrift für die Frühen Christen zur Stärkung ihres Glaubens.

Sehr viel später erst kam eine endzeitliche Deutung auf, der Bezug auf neue finstere Mächte. Die Zahl 666 blieb die Zahl des Antichristen, des Teufels, des Weltverführers, des Bösen schlechthin, und die fast zwei Jahrtausende zuvor gemeinten Namen ließen sich austauschen, da gäbe es „mehrere passende Kandidaten“, so Josef Werner.

Der seit 1968 in Deutschland lebende Künstler, der in seinen mehr als 240 bis heute entstandenen Exlibris ein fabelhaft-skurriles Welttheater erschaffen

hat voller Fantasiefiguren, die oftmals auf einer Art Bühnenpodest, in das der Eignername eingeschrieben ist, in absurden Szenen agieren und handeln, zeigt das zweite Tier des Offenbarungskapitels 13 als bedrohlich den Betrachter fixierenden drachenartigen Lindwurm mit drei Sechsen im Gesicht, am Leib einen deformierten (kommunistischen) Stern, darunter mit seinem Körpergewicht die Erdkugel einquetschend (man denke an Charlie Chaplin, der im „großen Diktator“ mit dem Globus tanzt), über dem Kopf das allsehende (KGB-)Auge und riesige Pranken, bereit, sich alles zu krallen, dessen sie leibhaftig werden können, die ganze Szenerie umfangen von aus dem Himmel wie Raketen zur Erde herabstürzenden Flammen.

Werner ist für seine vielen skurril-poetischen, immer wieder von intellektuellem Humor durchdrungenen, äußerst farbenfrohen Exlibrisradierungen bekannt, es existieren nur sehr wenige Schwarzweiß- oder Grauweiß-Blätter. Von Opus 237 gibt es Probedrucke in verschiedensten Farbkombinationen, doch Werner verwarf sie alle. In diesem, ganz bewusst in Schwarz- und Grauweiß gehaltenen Blatt soll nicht die Ästhetik von etwas Buntem im Vordergrund stehen, sondern eine solche von Form, Inhalt und Aussage. Bemerkenswert, dass dieses „böse“ Bücherzeichen auf der DEG-Jahrestagung 2023 zum „Besten Exlibris“ gewählt wurde.

Henry Tauber

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