Exlibris des Monats März 2024: David Bekker für Massimo Finistrella (C3+C7, 1999)

Thema: Giacomo Puccini und seine Oper Tosca

Fast ein Dutzend Personen sind auf dieser Farbradierung des vor zwei Jahren verstorbenen Exlibriskünstlers David Bekker aus Odessa zu finden. Alle sind sie Protagonisten oder Nebendarsteller in einer Tragödie voller Leidenschaft, Eifersucht und Mord, in der die Hauptpersonen einander und sich selbst vernichten. Einzelne Momente der Handlung sind hier zu einem Bilderreigen zusammengestellt.
Im Zentrum des vor 25 Jahren entstandenen Exlibris erblicken wir eine junge Frau in einem schlichten Kleid. Daneben ist sie ein weiteres Mal über eine männliche Person gebeugt zu sehen. Direkt darunter ist, seiner Bekleidung nach zu schließen, ein vornehm gekleideter Herr höheren Standes zu sehen, der nach der französischen Mode des späten 18. Jahrhunderts einen Herrenrock, ein Rüschenhemd und eine weiß gepuderte Perücke trägt. Mit finsterer Miene scheint er ein Vorhaben zu planen. Daneben zeichnet sich eine Exekutions-Szene vor einem Festungsgebäude ab und darüber erkennen wir die Statue einer Madonna mit Kind. Eine Engelsfigur überreicht offenbar einen Kranz oder eine Art Krone. Wie passt das aber alles zusammen? Welche Geschichte steckt hier dahinter?

Zwei Details lösen das Bilderrätsel auf. Der wuchtige, mit einer Statue gekrönte Festungsturm ist ein realistisches Abbild des Castel Sant’Angelo oder der Engelsburg, eines der bekanntesten Fotomotive im Zentrum Roms. Zunächst als Mausoleum für den römischen Kaiser Hadrian und seine Familie hoch über dem Tiber errichtet, wurde das Gebäude schließlich in eine Festung umgewandelt. Um 590 n. Chr. hatte Papst Gregor eine Vision, in der er den Erzengel Michael sah, wie er sein Schwert schützend über die Burg hielt. Zeitgleich ging auch eine in der Stadt wütende Pest zu Ende und so erhielt das Bauwerk seinen heutigen Namen. Die Engelsburg wurde im Laufe der Jahrhunderte von mehreren Päpsten bewohnt und diente auch als Gefängnis und Sitz der Gerichtsbarkeit. Ein weiteres Indiz, das uns die Zusammenhänge dieser Bildergeschichte verdeutlicht, ist der kurze Text in der oberen Bildhälfte:
„Gli occhi ti chiuderò con mille baci, mille ti ditó nome d’amore“ (Ich werde deine Augen mit tausend Küssen schließen und ich werde dir tausend Namen der Liebe nennen).
Diese Zeilen sind dem Libretto einer dramatischen Oper entnommen, deren wunderbare Melodien und Arien alle Freunde klassischer Musik bis heute in ihren Bann ziehen. Die Handlung spielt in einem Zeitraum von nur 18 Stunden, in dem alle Hauptfiguren einen gewaltsamen Tod erleiden. Die Titelfigur, die Sängerin Floria Tosca, richtet im 3. Akt dieses leidenschaftliche Bekenntnis an Maler Mario Cavaradossi. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts fand die Uraufführung der Oper Tosca im Teatro Constanzi, dem heutigen Teatro dell‘Opera di Roma im Januar 1900 mit zunächst bescheidenem Erfolg statt. Aber bald sollten das Stück und und sein Komponist Giacomo Puccini Triumphe feiern.
Die Rolle der schönen und leidenschaftlichen Sängerin Floria Tosca hat Puccini wahrscheinlich nach dem Vorbild der französischen Schauspielerin Sarah Bernhardt entwickelt, die im gleichnamigen Schauspiel La Tosca von Victorien Sardou in ganz Europa gefeiert wurde.
Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Handlung. Sie spielt um 1800 während der französischen Besatzung und ist frei erfunden, nur der historische Hintergrund ist von Bedeutung. Nach Auflösung des Kirchenstaates im Jahre 1798 ging die politische Macht für ein kurze Zeit auf eine Römische Republik über. Cesare Angelotti, ein Konsul dieser Republik, wurde von den französischen Truppen abgesetzt und inhaftiert, konnte aber fliehen. Mario Cavaradossi sympathisiert mit den Republikanern und gewährt ihm Unterschlupf.
Seine Geliebte, die attraktive und eifersüchtige Floria Tosca, wird auch von dem machtgierigen und lüsternen Polizeichef Baron Scarpia verehrt. Dieser lässt Cavaradossi verhaften und erpresst Tosca, sich ihm hinzugeben, um den Maler zu befreien. Als sich Scarpia an Tosca heranmacht, ersticht sie erbarmungslos den Missetäter. Sie ist aber im Besitz eines von Scarpia ausgestellten Geleitbriefs, der ihr mit Mario die Flucht ermöglichen sollte. Tosca bittet ihren Geliebten eindringlich, sich bei seiner Scheinhinrichtung auf der Engelsburg tot zu stellen, damit der Plan gelinge. Aber die Kugeln sind echt und Mario verblutet. Bei ihrer Festnahme flieht sie und stürzt sich auf der Brüstung der Engelsburg in den Tod.

In dem vorliegenden Opern-Exlibris sind die Hauptfiguren in wenigen Momenten dargestellt. Floria Tosca erhebt in der Mitte ihre linke Hand, eine liebevolle Geste, mit der sie vielleicht ein Lebewohl andeutet und ihre Liebe zu dem freiheitsliebenden Maler bekräftigt. Im Licht der brennenden Kerzen ist der skrupellose Polizeichef Baron Scarpia zu erkennen. Mit brutaler Rücksichtslosigkeit beginnt er die Eifersucht Toscas für seine Zwecke auszunutzen und gleichzeitig Cavaradossi zu überführen. Das Gesicht eines perfiden und machtbesessenen Vertreters der Staatsgewalt verrät Durchsetzungswillen und eine Kaltherzigkeit, die vor keiner Grausamkeit zurückschreckt. David Bekker hat daneben die Hinrichtung Cavaradossis in Szene gesetzt. Schließlich stirbt der Delinquent durch die Gewehrkugeln der Soldaten. Eine maßlos erschütterte Tosca beugt sich über den sterbenden Geliebten und erkennt, dass sich Scarpia auch nach seinem Tod doch noch rächen konnte.
In Bekkers Opern-Exlibris finden sich noch 2 Ansichten, bei denen der Bezug zur Handlung nur wage zu beschreiben ist. Die Darstellung einer Madonna mit Kind könnte mit einer Szene im 1. Akt zu tun haben, in der Cesare Angelotti auf seiner Flucht unter einem Marienstandbild einen Schlüssel zu einer Kapelle in der Basilica Sant’Andrea della Valle findet und sich darin verbirgt. Auch der abgebildete Glockenturm gibt Rätsel auf, passt er doch nicht zu den in der Oper vorkommenden Orten. Es ist aber bekannt, dass Giacomo Puccini sich während seiner Arbeit intensiv mit der Umsetzung der Glocken-Szenen im 1. und 3. Akt beschäftigte. Dies belegen Äußerungen Puccinis zum Klangbild der verschiedenen Kirchenglocken Roms. “… Ich wollte unbedingt wissen, wie die Kirchenglocken wirklich klingen … und saß mehrere Tage lang auf den Stufen des Brunnens vor dem Peters-Dom, um den Glocken zuzuhören … Ich hatte Notenpapier bei mir und zeichnete den Klang der Glocken auf …”
Mit stringenter Dramaturgie schuf Puccini eine seiner schroffsten und dramatischsten Kompositionen und entführt das Publikum für zwei Stunden in das von Konflikten zwischen dem Revolutionsheer Napoleons und den habsburgisch-päpstlichen Truppen erschütterte Rom – ein authentisches Drama an Gesangsstimmen und üppiger Orchestrierung, das als außerordentlicher Meilenstein in der historischen Entwicklung der Oper betrachtet wird. Puccini gilt als einer der erfolgreichsten Opernkomponisten aller Zeiten. Manon Lescaut, La Bohème, Tosca, Madame Butterfly, La Fanciulla del West, Suor Angelica, Turandot etc. – haben seit mehr als 120 Jahren ihre Fans fest im Griff. Die Aufführungen und Neuinszenierungen sind heute weltweit populärer als jemals zuvor und zählen zu den Standardwerken im internationalen Opernrepertoire. Vor 100 Jahren, am 29. November 1924, ist Giacomo Puccini an Kehlkopfkrebs gestorben.
David Bekker zählt zu den Exlibriskünstlern, die sich immer wieder mit den großen Namen der Literatur und der Musik beschäftigt haben. Seine Art der Exlibrisgestaltung ist unverkennbar. Nicht umsonst sind seine meisterhaften Radierungen bei vielen Sammlern besonders gefragt. Bei der Suche nach einem „Exlibris des Monats“ wird man seine Arbeiten auch zukünftig immer wieder im Blickfeld haben.

(Heinz Neumaier)

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