Exlibris des Monats Februar 2024: Oldřich Kulhánek für RNDr. Ing. František Turnovec (C3, 1983)

Thema: Dichter aus Prag – Franz Kafka und Jaroslav Hašek

In diesem Jahr jährt sich Franz Kafkas Todestag zum 100. Mal. Man kann sicher sein, dass das ein zentrales Thema des Jahres 2024 werden wird, das Feuilleton wird voll sein mit Berichten über neue Ausstellungen, neue Werkausgaben, Lesungen, Dokumentationen, Verfilmungen, Performances und anderen Formaten. Freuen wir uns darauf.

In der modernen Exlibrisgrafik gibt es sehr viele Blätter, die das Porträt Franz Kafkas oder eine Szene aus einem seiner Romane oder Erzählungen zeigen. Für den Monat Februar habe ich eines ausgesucht, das Kafka, zweifelsohne einer der bekanntesten Autoren des 20. Jahrhunderts, nicht alleine zeigt, sondern zugleich einen anderen tschechischen Schriftsteller, Jaroslav Hašek. Auch dessen Name ist berühmt, aber vielleicht noch berühmter als er selbst ist seine bekannteste Romangestalt, der brave Soldat Schwejk.

Dass Oldřich Kulhánek (1940–2012), wie Kafka und Hašek in Prag geboren, beide Schriftsteller auf einem Blatt gewürdigt hat, ist natürlich eine wunderbare Idee, fast erstaunlich, dass es meines Wissens nicht viele künstlerische Darstellungen gibt, die ein grafisches Aufeinandertreffen der beiden Prager Autoren zeigen; zumindest kenne ich keines.

Denn Kafka und Hašek haben sehr viel gemeinsam. Sie sind im selben Jahr – 1883 – in derselben Stadt geboren und sind beide vor ihrem 40. Geburtstag gestorben, Hašek 1923, Kafka 1924. Nach allem, was ich dazu zugegebenermaßen auf die Schnelle in der Literatur und im Netz finden konnte, sind sie sich wohl nie persönlich begegnet. Das ist eigentlich kaum vorstellbar in einer damals doch überschaubaren Stadt, die zum Zeitpunkt der Geburt Kafkas und Hašeks erst ca. 230.000 Einwohner hatte. Man kann sich leicht vorstellen, dass sie sich schon in jüngeren Jahren irgendwo begegnet sind, zumindest müssten sie voneinander gehört haben und neugierig aufeinander oder zumindest auf die Veröffentlichungen des anderen gewesen sein.

Hašek, dessen Muttersprache Tschechisch war, hat schon mit 17 Jahren angefangen, in einer damals populären tschechischen Zeitschrift Gedichte und Skizzen zu veröffentlichen, Kafkas erstes (erhalten gebliebenes!) Werk stammt aus dem Jahr 1904, da war er ca. 20 Jahre alt. Mit dem Schreiben begonnen hat er aber auch einige Jahre früher. Veröffentlicht hat er seine frühen Werke erst ab 1908, und zwar ebenfalls in Zeitschriften und Zeitungen

Beide hatten feste politische Überzeugungen. Hašek engagierte sich sein Leben lang aktiv im linken Spektrum. Von Kafka wissen wir, dass er sich schon mit 16 Jahren dem Sozialismus zugewandt hatte und bei linken anarchistischen Versammlungen symbolhaft eine rote Nelke im Knopfloch trug.

Allerdings gibt es dann doch große Unterschiede zwischen den beiden. Nicht nur stammten sie aus völlig unterschiedlichen kulturellen und sozialen Milieus. Hašek musste schon 1896 wegen des Todes seines Vaters, eines Hilfslehrers, seinen Schulbesuch beenden, um eine Lehre anzutreten, die ihm aber schon bald wieder gekündigt wurde. An der Handelsakademie gelang ihm dann zwar ein Abschluss, doch dem folgte kein erfolgreiches Berufsleben. Schon ab 1902 lebte er als freier Schriftsteller. Da war er 19 Jahre alt.

Franz Kafka hatte bis dahin und auch noch weiterhin – zumindest äußerlich gesehen – ein eher wenig spektakuläres Leben als Sohn einer jüdischen deutschsprachigen Kaufmannsfamilie geführt, legte 1901 sein Abitur ab und war bis 1906 Student der Rechte an der Deutschen Universität in Prag. Nach seiner Promotion hatte er ab 1907 einen „Brotberuf“ bei einer privaten Versicherungsanstalt, von 1908 an in der Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag bis 1922, als er aus Krankheitsgründen aufhören musste zu arbeiten. 1923 starb er an seiner schweren Krankheit, einer Tuberkulose.

Hašek verdiente sein Geld zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch seine immer erfolgreichere Schriftstellerei und als Zeitungsredakteur. Er heiratete früh und wurde 1912 Vater. 1915 wurde Hašek von der k.u.k. Armee des Habsburgerreichs zum Kriegsdienst an der Ostfront eingezogen, ließ sich dort aber baldmöglichst gefangen nehmen und wechselte „die Fronten“, wie man das nennt, und schloss sich zunächst den Tschechoslowakischen Legionen und später der Roten Armee an. Erst 1920 kehrte er aus Russland zurück und nahm die Arbeit an seinem literarischen Hauptwerk, dem Schwejk-Roman, auf, der zunächst in wöchentlichen Lieferungen erschien, schon damals mit den Zeichnungen von Josef Lada, die bis heute unser Bild des braven Soldaten prägen. Vollenden konnte Hašek den Roman nicht mehr, da er, im Krieg an Tuberkulose erkrankt und daran, zusätzlich durch übermäßigen Alkoholgenuss geschwächt, 1923 starb. Seine Romanfigur Josef Schwejk hingegen blieb „unsterblich“.

Die deutlichen Parallelen in den Biografien der beiden Schriftsteller mögen es gewesen sein, die Oldřich Kulhánek dazu veranlasst hat, die beiden Schriftsteller spiegelbildlich darzustellen, aber nicht mithilfe des bekannten Januskopfes mit einer vertikalen Spiegelebene, sondern mit einer horizontalen Spiegelebene, wie man sie von Spielkarten her kennt. Diese Darstellungsform hat Kulhánek auch auf anderen Exlibris, z. B. in einem Eigenblatt, gewählt. Die beiden Autorenporträts sind, vergleicht man sie mit den bekannten Fotografien der beiden Autoren, sehr wirklichkeitstreu gestaltet. Beide Köpfe sind umgeben von anderen Köpfen; hinter Kafkas Ohr verbirgt sich beispielsweise Kulhánek selbst. Vielleicht will er damit darauf hinweisen, dass er selbst einige Jahre lang in einer Situation leben musste, für die man heute das von Kafka abgeleitete Adjektiv kafkaesk benutzen könnte: ein Gefängnisaufenthalt nach Arretierung durch die Geheimpolizei wegen Verunglimpfung sowjetischer Persönlichkeiten (es ging konkret um Stalin) in seinen Grafiken. Auch die Gitterfenster, die aus Kafkas Haaren herauswachsen, lassen diese Deutung vermuten. Gleichzeitig jedoch ist das Eingeschlossensein in Kafkas Romanen und Erzählungen nicht nur konkret durch Gestalten wie Gefängnis- oder Schlosswächter oder Türsteher, sondern auch durch das Gefühl psychischen Eingeschlossenseins in ausweglosen Situationen eines seiner durchgehenden Themen.

Letztlich sind aber auch Hašeks Figuren, inklusive, wenn nicht sogar vor allem, sein Schwejk, in ähnlichen Situationen gefangen: in einer unverständlichen Welt voller unverständlicher Gesetze und Vorschriften und Regeln. In einer absurden Welt. Nur reagieren Kafkas Figuren anders darauf, existentieller, verzweifelter. Schweijk hingegen mit (eigentlich grundlosem) tollkühnem Optimismus. Entsprechend tummeln sich um Hašeks Lockenkopf in Kulháneks Grafik Variationen seiner Schwejk-Figur: listig, verschmitzt und fröhlich.

Zum Betrachten wurde die Grafik zweimal gescannt. Man sieht: Die beiden Schriftsteller sind miteinander verbunden: Kafkas formelle Krawatte steckt in Hašeks locker umgebundenem Tuch – oder umgekehrt. Ihre Unterschiedlichkeit wird durch einen originellen Einfall betont: auf der Kleingrafik mit Hašek auf der oberen Bildhälfte erhält der Eigner ein Exlibris, auf der mit Kafka an der entsprechenden ein PF für das Jahr 1983. Unterschrieben hat der Künstler beides.

(Ulrike Ladnar)

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