Exlibris des Monats Juni 2022 – Silvana Martignoni (I) für Guus Willemsen (NL), „Horses and Hobby Horses“, 2022, Radierung und Mezzotinto
Ein großes steigendes Pferd mit wallender Mähne beherrscht das 2022 ent-standene Bücherzeichen von Silvana Martignoni für Guus Willemsen, das vom Publikum der DEG-Jahrestagung 2022 zum „Besten Exlibris“ gewählt wurde. Es ist ein prachtvolles Blatt, imposant, üppig, verschwenderisch ge-spickt mit einer Fülle von Details, neben dem hoch aufgerichteten Pferd zwei kleinere und zwei Spielzeugpferde, auf seinem Fell oder „in“ ihm mindestens 14 weitere – Spielzeug- und Schaukelpferde. Vor einem reich aus-gestatteten Hintergrund höchst dekorativ gestalteter floraler Formen, Blätter, Blumen, Geäst, Gräsern, auch Schmetterlingen, ein ornamentales Fest fürs Auge!
Es ist ein sehr typisches Beispiel für die Radier- und Schabkunst Silvana Martignonis, die in den 1980ern die Akademie der Schönen Künste in Mailand (Brera) absolvierte und dort mit einer Arbeit über William Blake abschloss, den englischen Dichter, Maler und Naturmystiker. Das preis-gekrönte Blatt wurde in Braun eingereicht, es gibt eine zweite Ausführung in Grün, genauer: die Versionen sind jeweils in mehreren verschiedenen Braun- bzw. Grüntönen gehalten. Hier steht das Braun, die Farbe der Erde und des Holzes, sowohl für Natürliches, Organisches als auch für Kraft und Reife.
Die Künstlerin selbst beschreibt ihre Drucke als „verklärte Ikonen, als Ergebnis beobachteter Naturerlebnisse und Abstraktion“. Dabei eigne sich die (alte) Technik des Mezzotinto in besonderem Maße für ihr Design: „subtil, stark und entschieden, angereichert mit tonalen Werten, die der Malerei nahekommen“. Nur mit dem Mezzotinto sei die „Wirkung von schwarzem Samt zu erreichen, so elegant und raffiniert“.
Der ausgewiesene Pferdeliebhaber Guus Willemsen fing Anfang der 1960er Jahre selbst mit dem Reiten an, u. a. ritt er in der Manege von Rotterdam, wo regelmäßig ein bedeutender CHIO veranstaltet wird. Seit 1967 sammelt Wil-lemsen Exlibris, um 1972 begann er, sich auf Pferde-Exlibris zu spezialisie-ren, und hat seitdem nicht nur – 1993 – ein vielbeachtetes Buch über Pferde-Exlibris veröffentlicht, sondern besitzt inzwischen auch eine bedeutende, rund 8.000 Blätter umfassende Kollektion von Bücherzeichen mit Pferde-motiven, von denen nicht weniger als 124 seinen Namen als Eigner tragen.
Der Titel seines preisgekrönten Exlibris „Horses and Hobby Horses“ lautet ins Deutsche übersetzt „Pferde und Steckenpferde“. Ursprünglich bezeichnete das englische Wort hobby horse (von mittelengl. hobi) ein kleines Pferd oder Pony, dann aber auch ein Kinderspielzeug, das Steckenpferd oder das Schaukelpferd, und schließlich, weiter gefasst, eine Freizeitbeschäftigung. Tatsächlich leitet sich das deutsche Wort Hobby etymologisch vom englischen Wort hobby horse ab und wurde gleichfalls zu einem Synonym von „Freizeitbeschäftigung“.
„Das hölzerne Steckenpferd,“ sagt Wikipedia, „trägt seinen Reiter nirgendwohin, weil es in den Händen gehalten wird, entsprechend erwirtschaftet das Hobby kein Einkommen und ist kein Beruf. Beispiele für verbreitete Hobbys sind Aktivitäten wie Sammeln […]“ – etwa von Exlibris, würden wir hinzufügen.
Henry Tauber