Exlibris des Monats April 2021 – Hans Eggimann für Anna Eggimann, 1910, Radierung
April, Ostern, die Zeit, da der Mikrokosmos zu neuem Leben erwacht. Trotz Klimakrise und Covid-Pandemie kommen die Veilchen und die Narzissen aus der Erde, sieht man die ersten Bienen und Schmetterlinge sich am Nektar der Blüten laben. Die Poeten haben schon immer ihre Frühlingsgefühle in Bildern aus der Natur zum Ausdruck gebracht. „Hier lieg ich auf dem Frühlings-hügel…“, singt Mörike oder „Frühling lässt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte“. Wordsworth, der durch eine Frühlingslandschaft wandert, lässt sich von einer „Host of golden daffodils“, einer Schar goldener Narzissen, bezaubern.
In der ersten Dekade des 20. Jahrhunderts, als das Exlibrissammeln zu einem Hype wurde, wollte mancher Sammler die Frühlingsidylle auf einem Exlibris verewigt haben, um sich sein Bild von der heilen Welt zu verewigen. Der dominierende Stil der Zeit, der Jugendstil, bot sich für Frühlingsbilder besonders an.
Der vielseitige Berner Maler Hans Eggimann (1872 – 1929), der auch Illustrator, Architekt und Bühnenbildner war, schuf 1910 ein Exlibris für seine Ehefrau Anna, auf dem das Glück des Lesens inmitten einer Blumen-landschaft dargestellt ist. In einer für den Jugendstil charakteristischen floralen Rahmung, die die Perspektive zu einer Art Fensterblick werden lässt, sitzt eine lesende junge Frau inmitten von Blumen.
Von den zwei Schmetterlingen, die über den Blumen ihr munteres Spiel treiben, lässt sie sich in ihrer Lektüre nicht ablenken. Die nur mit ihrem Oberkörper sichtbare, spärlich bekleidete Frau, könnte eine Verkörperung von Flora, der Göttin der Blüte sein, denn nicht nur sitzt sie inmitten von Blumen, sondern auch den Träger ihres Gewands schmückt eine Blüte und um die Haube, die das in Jugendstillinien fallende Haar ziert, ist ein Kranz von Margeriten gelegt. Auch auf dem Gemälde von Bartolomeo Veneto trägt die Göttin Flora eine blumengeschmückte Haube.
„Und während sie sprach, haucht sie Frühlingsrosen aus ihrem Mund“, lesen wir bei Ovid. Eggimanns anmutige „Flora“ ist ganz in ihr Buch vertieft, gibt sich dem Genuss des Lesens in einer schönen Umwelt hin. Für uns heute, für die die Bienen sterben, die Schmetterlingsarten weniger werden, die Blumen wegen der Monokultur und der Gifte, die gestreut werden, von den Feld-rändern verschwunden sind, für uns ist ein solches Bild eine wehmütige Erinnerung an eine Zeit, die ihre eigene Schönheit hatte, die es so heute nicht mehr gibt, wie auch die Schönheit des Jugendstils heute passé ist.
Heinz Decker