DEG-Jahrbuch 2020

Das Jahrbuch 2020 der DEG

Wie schon vor zwei Jahren, ist das neueste Jahrbuch einem einzigen Thema gewidmet. 2018 war es der Humor im Exlibris, 2020 geht es um politischen und gesellschaftlichen Wandel, dargestellt in freier Grafik und im Exlibris. In ihrem Vorwort weist Ulrike Ladnar bereits darauf hin, dass es vor allem zu den beiden Weltkriegen etliche Exlibris gibt. Zu anderen, ebenfalls die Gesellschaft prägenden großen Ereignissen wie z. B. Natur- und Atomkatastrophen, zum Mauerbau wie auch zum Fall dieser Mauer in Berlin, oder zu Armut, zum Klimawandel sind Exlibris nicht so leicht zu finden. Es scheint, dass wir, wenn wir unseren Liebhabereien nachgehen, die aktuellen Probleme lieber ausblenden und idyllische Blätter bevorzugen.

Heinz Decker beginnt mit einem Beitrag über den Ersten Weltkrieg. Dabei kann der Autor ein bisher unbekanntes Exlibris von der österreichischen Künstlerin Broncia Koller-Pinell (1863–1934), ein Holzschnitt aus dem Jahr 1914, vorstellen (Abb. 1). Es folgen Beiträge über drei Künstler, die als kritische Zeitzeugen ihrer Haltung auch in ihren grafischen Arbeiten Ausdruck verliehen. Siegfried Bresler stellt den politischen Wandel von Heinrich Vogeler (1872–1942) vom gefeierten Künstler des Jugendstils zum sozial engagierten Mittbürger anhand seines Werkes vor. Giuseppe Mirabella bringt uns die Lebensphilosophie im Oeuvre von Michel Fingesten (1884–1943) auf spannende Art näher. Fingesten, der klar gegen die Nazis und den Krieg Stellung bezog, wurde schließlich deren Opfer. Drittens beschreibt Karsten Weber Eduard Winklers (1884–1978) Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus, sein lebensgefährliches Engagement für den Widerstand. 

Abb. 1. Broncia Koller-Pinell: Exlibris 1914 für Rupert Koller, 1914, Holzschnitt

Über die Zeit kurz nach dem Zweiten Weltkrieg berichtet Henry Tauber. Ein besonderes Exlibris stellt uns Peter Rath vor. Die Geschichte um das Blatt von Helene Potetz (1902–1987) für ihre Freundin und Mitgefangene Rosl Jochmann (1901–1994), die sie im Konzentrationslager Ravensbrück getroffen hat, berührt sehr. Klaus Rödel stellt Künstler und ihre Exlibris jenseits des Eisernen Vorhangs aus der Zeit von 1960–1990 anhand von zahlreichen Beispielen vor. Interessant ist auch der Beitrag von Peter Labuhn über eine Serie von PF-Karten mit Plaketten, angefertigt von Hans-Joachim Sendler (1934–2005). Die fünf vorgestellten Medaillen mit ihren zeitkritischen Botschaften in Latein sind außergewöhnlich.

Der zweite Beitrag von Heinz Decker bringt uns den Maler und Grafiker Utz Benkel (*1959), einen sozialkritischen Zeitzeugen, näher. Menschen mit besonderen Lebensläufen, die sich in irgendeiner Weise für Veränderungen und Verbesserungen für uns alle eingesetzt haben, sind oft Gegenstand seiner Grafiken. Für ein kritisches Exlibris aber braucht es einen entsprechenden Auftraggeber wie zum Beispiel Dr. Emil Kunze, für den Utz Benkel eine Mappe mit zehn Exlibris zum Thema Aids geschaffen hat. Hier zitiere ich Heinz Decker: Eros und Thanatos, Liebe und Tod sind häufig von Sammlern gesuchte Motive zu denen wir auch zahlreiche Beispiele im Werk Utz Benkels finden, … Unser Streifzug hingegen hat gezeigt, dass es auch den menschengemachten Tod als Bedrohung gibt, durch die Justiz, durch Ausbeutung und Armut, durch Seuchen, durch Umweltverschmutzung, durch Vernichtungswaffen.

Ulrike Ladnar stellt politische Redner und eine Rednerin im Exlibris vor und ich bin erstaunt, dass sie zu diesem Thema Exlibris gefunden hat, darunter auch das eindrückliche Blatt der australischen Politikerin Jean Daley (1981–1948) von Erich Thrake. Passend zum Beethoven-Jahr stellt Heinz Neumaier diesen großen Komponisten in den Exlibris vor. Ludwig van Beethoven (1770–1827) führte die Wiener Klassik zu ihrer höchsten Blüte und wurde zum Wegbereiter für die Musik der Romantik. Der hochverehrte Musiker gehört noch heute zu den am meisten gespielten Komponisten der Welt.

 

Über den historischen Wandel in der Ess- und Tischkultur berichtet Anke Polenz anhand von diversen Beispielen. Dabei werden Küchengeräte und Essbestecke genauso beachtet wie die Kulinarik im Spiegel von Kochbüchern sowie der Wandel in der Tischkultur. Die Autorin stellt Exlibris über Lebensmittel, über das Essen allein, in Gemeinschaft und unterwegs vor. Sie berichtet ebenfalls über das Essen in kargen Zeiten oder im Überfluss.

Anhand des Bilderbuches „Das Loch in der Hose“ mit Bildern und Text von Frans Haacken (1911–1979) erläutert Till Schröder das Werk dieses vielseitigen Künstlers, der im vorgestellten Bilderbuch Illustrationen mit Papierplastiken schuf, die er geschickt montierte und vor beleuchteten Kulissen fotografierte. Vorgestellt werden auch die zwei Exlibris, die man von Haacken kennt. Es folgt der Beitrag von Ursula Müksch über die Kunst und Freiheit der Frau, verbunden mit dem unaufhaltbaren Wandel der Frau in Gesellschaft und Kunst. Eine interessante Abhandlung mit faszinierenden Beispielen. Das Spektrum der vorgestellten Künstlerinnen reicht vom 16. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Die Autorin wünscht sich ein geschärftes Bewusstsein über Künstlerinnen sowie eine intensivere Erforschung ihrer Werke.

Zwei eindrückliche Exlibris aus diesem Band möchte ich im Bild vorstellen. Eines von Erhard Göttlicher für Marietta Hagedorn zum deutschen Geist und den deutschen Geistern [auf S. 9]. Während der Geist unten links nicht beachtet wird, proleten die Geister über ihm umso lauter. Das zweite Exlibris von Utz Benkel für Dr. Emil Kunze gehört zur Mappe AIDS (Abb. 2). Dieser eigenartige Reigen der eher traurigen nackten Menschen scheint gleichzeitig ein neuer Totentanz zu sein.

Zwölf eingebundene Originalbeilagen bereichern dieses Jahrbuch, eine großzügige Geste. Ich gratuliere der Herausgeberin zur Themenwahl und zum rundum gelungenen Werk.                                                  

(Alice Aeberhard)

Abb. 2. Utz Benkel: Exlibris für Dr. Emil Kunze, AIDS, 1989, Linolschnitt
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