Rezension des DEG Jahrbuchs 2024

DEG-Jahrbuch 2024, Josef Werner: PF 2024, Anna Voitiuk: DEG-EL

Ober, bitte zahlen!!!

Ob dieser bekannte Ausruf ausschlaggebend für den Titel des aktuellen Jahrbuchs war, kann ich nicht sagen. Auch nicht, ob es eine versteckte Aufforderung für notorische Jahresbeitrag-Drückeberger sein soll.

Aber keine Angst, beim Aufschlagen der ersten Seite präsentiert sich gleich die Auflösung – die Autoren und Autorinnen haben sich das Thema Zahlen, ob mathematische Funktionen oder mystische Zahlen, zur Brust genommen und es von allen Seiten beleuchtet.

Im ersten Beitrag beleuchten Ulrike Ladnar und Henry Tauber die Kulturgeschichte des PF’s, in dessen Natur die Zahlen eine Hauptrolle spielen, ist ein PF doch ein schriftlicher Neujahrswunsch für das kommende Jahr (pour féliciter). Wir erhalten einen kleinen Querschnitt, in dem Jahreszahlen eine Rolle spielen. Besonders interessant fand ich das erste Beispiel des Künstlers Johann Gottfried Schadow vom Ende des 18. Jahrhunderts. Anstelle eines Bildes rücken auf den ersten Blick nur Zahlen und Schrift ins Bild und ermuntern den Betrachter, länger zu verweilen. Dann wird man mit vielen kleinen Figurenbildern belohnt, die alleine, durch Attribute oder durch Kommunikation untereinander, diese Zahlen erst ergeben. Auch das nähere Betrachten der anderen Blätter lohnt sich, wobei sich die unterschiedlichsten Interpretationen ergeben. Gerade das Blatt von Utz Benkel hätte ich erst einmal als Hinweis auf den Nord-Süd-Konflikt verstanden, wobei zeitlich der Ukraine-Krieg näher liegt. Es folgt als Beilage ein feiner Kupferstich, angefertigt von Norbert Salzwedel, und wer sich beim Betrachten etwas Zeit lässt, wird zwischen den Felsen das Jahr 2024 in römischen Lettern erkennen.

Janusköpfe und Spielkarten – ein Spagat, den Heinz Neumeier mit Bravour gemeistert hat, hätte ich doch zwischen den Themen keinen Zusammenhang gesucht. Und umso mehr freut man sich, wenn man ein eigenes Blatt abgebildet findet oder – wie in meinem Fall – ein Projekt, das Igor Baranov und ich in die Wege geleitet haben: das erotische Rokoko-Kartenspiel. Und wieder ergötzt sich das Auge über eine Originalbeilage: eine schöne Gitarre von Krzysztof Marek Bąk für Horstfried Masthoff. Die Opusnummer 2571 verrät uns, dass der Künstler sehr fleißig war.

Etwas düsterer wird es jetzt, denn es kommen die Apokalyptischen Reiter – Klaus Thoms hat sich dem Thema mit gewohnter Präzision und Akribie gewidmet und wir erfahren, dass das Thema in der Grafik so alt ist wie die Drucktechnik selbst. Ein imposantes, bedrohliches Szenario, was ein hervorragendes Exlibris-Motiv abgibt und immer dicht am Puls der Zeit liegt. Die Querverweise sind sicher eine große Hilfe für jeden, der sich in dieses Thema mehr vertiefen will.

Da lässt uns Alice Aeberhard aus der Schweiz nach so schwerer Kost etwas aufschnaufen. Eine kurze Einleitung lädt uns zu einem Exkurs über die fünf Sinne ein: angefangen mit dem Sehen, gefolgt vom Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Wobei für den Grafiksammler der erste Sinn wohl der wichtigste ist. So kommen wir auch visuell auf unsere Kosten mit ein paar sehr schönen Beispielen wie von Emil Orlik, Peter Israel oder auch von Marina Richter, die ein Ohr für Dr. Emil Kunze hatte.

Jetzt wird es märchenhaft! Mit Anke Polenz tauchen wir ab in die Welt der Märchen und wer hätte gedacht, wo überall die Zahl Sieben auftaucht! Die sieben Schwaben, Schneewittchen und die sieben Zwerge, Der Wolf und die sieben Geißlein, Die sieben Raben, alle von den Brüdern Grimm. Uns fallen sofort viele weitere Beispiele ein: sieben Brüder, Siebenmeilenstiefel, sieben auf einen Streich, Siebenschön und so weiter – als Beispiel finden wir ein schönes Original von Katarzyna Handzlik für Anke Polenz zu Der Wolf und die sieben Geißlein, die viehwitzig hinter einen Rahmen hervorspicken.

Dem Thema schließt sich nahtlos Siegfried Bresler mit einem Beitrag über Heinrich Vogeler an. Die Grafiken zu den sieben Raben, den sieben Schwänen und weitere Beispiele beweisen, dass der Künstler sich der Zahlensymbolik ebenfalls nicht entziehen konnte. Anmerken möchte ich an dieser Stelle, dass Siegfried Bresler und Rüdiger K. Weng sich ein ambitioniertes Vorhaben vorgenommen haben. Sie arbeiten an einem neuen Vogeler-Werkverzeichnis!

Johann Gottfried Schadow: PF 1795

Ein kleines Intermezzo bietet das reizende Original-Exlibris von Anna Voitiuk für die DEG. Bei näherer Betrachtung ist das Blatt gespickt mit Zahlenfolgen. Mehr möchte ich nicht vorausnehmen, schauen Sie es sich selber an.

Raslila und die numerologische Bedeutung der Zahl 16. Olga Piwetz macht mit uns einen Ausflug ins ferne Indien. Die vielschichtige Kultur ist immer wieder für neue Überraschungen gut. Kurzum: Es geht um den rituellen Ras Lila Tanz und die Bedeutung der Zahl 16, die im Hinduismus ein festes Maß der spirituellen Kraft und Magie ist. Sie taucht überall auf, ob es die Zahl der Tänzerinnen oder die Aufteilung der Mondphasen ist.

Zurück im Abendland finden wir uns im nächsten Artikel von Andreas Raub wieder zwischen irdischen Walküren, Drachen und Rittern und dem Rheingold-Epos – es geht um das wagnerische Motiv im Exlibris, was früher wie heute immer noch sehr populär ist. Zahlenspiele finden wir hier auch, wenn auch nicht so spezifisch wie in den vorangegangenen Beiträgen. Das Ende ziert ein radiertes Blatt von Andreas Raub für den Richard Wagner-Verband Münster. Die Darstellung sorgt durchaus für Heiterkeit: entspringt Wagners Federkiel hier doch ein Reigen aus barbusigen Blumenmädchen, die ihn zu umringen scheinen. Ob sie ihn anregen oder nerven, ist jedoch im Blick nicht klar zu erkennen …

Mathematik erinnert mich daran, dass es ein notwendiges Übel war. Leider ein unumgängliches Hauptfach, wollte man das Abitur absolvieren. Ich weiß, dass nicht alle meine Meinung teilen, vor allem viele Eigner von Mathe-Exlibris, meist Lehrer, die Anne Büsing hier bildlich anführt. Aufgelockert wird die Story mit dem rechnenden Pferd Hans, die bestimmt viele begeisterte und andere frustrierte, da hier sogar ein Pferd das Einmaleins beherrschte. Pythagoras darf natürlich nicht fehlen, der den Beweis aufstellte, dass es ohne die Mathematik keine Musik gäbe. Das dürfte den Mathefeind wieder milde stimmen.

Wie die Jungfrau zum Kind kam Andreas Zekl, als man ihn bat, einen Artikel für das Jahrbuch zu schreiben, was er meiner Meinung nach bravourös meisterte. Er hat nach reiflicher Suche ein Thema gefunden, mit dem sich schon Generationen von Philosophen, Mathematikern und Künstlern beschäftigt haben: das magische Quadrat. Es ist ein Quadrat mit Zahlenreihen, die horizontal, vertikal und diagonal immer die gleiche Summe ergeben. Bei Dürers Melencolia ist ein solches Quadrat versteckt und nach akribischer Suche hat der Autor zwei Exlibris aufgetrieben mit einer klar offensichtlichen Darstellung. Sicher finden sich noch mehr Beispiele, aber es beweist, dass man, wenn man Geduld hat und sich Exlibris genauer anschaut, immer wieder etwas Neues entdecken kann. Ich muss noch anmerken, dass Herr Theveßen, er hat auf Seite 92 Abbildungen mathematischer Exlibris beigesteuert, diesbezüglich auch fündig geworden ist: Das Blatt von Walter Wellenstein für Theodor Heilborn versteckt ebenfalls ein magisches Quadrat. Dies wäre mir vor Andreas Zekls Artikel sicher nicht aufgefallen.

Walter Zeising: PF 1932

Die letzten beiden Artikel von Henry Tauber und Claudia Karolyi öffnen ein düsteres Kapitel. Henry Tauber hat die Zahl 666, die Zahl des Bösen, die Zahl, die die Apokalypse einläutet, als Zahlenbeispiel erwählt. Ein Monster, dessen Augen und Mund die Zahl 666 verbergen, ist auch eine der aktuellsten Exlibris-Arbeiten aus Josef Werners Werkstatt. Das gruselige Wesen auf dem Exlibris verbirgt die Zahl 666 in seinen Augen und Mund. In der Kunst ist die Apokalypse immer wieder als Zeichen eines drohenden Unheils zu finden, ob Missernten, gefolgt von Hungersnöten, Kriegen, einer atomaren Katastrophe (Keith Haring) oder dem Holocaust.

Auch Claudia Karolyi hat sich mit dem Thema der Ankündigung oder dem Hinweis auf ein drohendes Unheil in Neujahrswünschen befasst und an dieser Stelle möchte ich auch noch ein passendes PF von Walter Zeising 1932 einflechten, zu dem sich jeder noch ein paar Gedanken machen kann.

Mein Resümee: alles in allem wieder ein sehr gelungenes Jahrbuch, das für Kurzweil sorgt und uns Freude bereitet, wenn wir es in den Händen halten!

DEG-Jahrbuch 2024. Exlibriskunst und Grafik – Zahlen, hrsg. von der Deutschen Exlibris-Gesellschaft e. V. – Forum für Kleingrafik, Frankfurt am Main, red. von Ulrike Ladnar und Henry Tauber, 116 Seiten, 5 Original-Beilagen, ISBN 978-3-925300-75-2.

(Tomas Ostermann)

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